Im Interview: Kfz Sachverständiger und Klassik-Experte Swen Niedecker

  1. Sehr geehrter Herr Niedecker, Sie sind Ingenieur und Kfz-Sachverständiger. Es wird immer wieder vor versteckten Mängeln beim Gebrauchtwagen-Kauf gewarnt. Manipulierte Tachos, unsachgemäß reparierte Unfallschäden. Was kann alles passieren, worauf sollte man achten?

    Die Anschaffung eines Gebrauchtfahrzeuges sollte gut vorbereitet werden. Zu Beginn muss die Grundsatzfrage beantwortet werden: Kauf beim Händler oder von Privat?

    Der Autokauf von Privat ist mit mehr Risiko verbunden als der bei einem Händler. Der Händler muss eine Gewährleistung für das Fahrzeug geben, in den ersten 6 Monaten nach Kauf ist der Händler auch beweispflichtig, dass auftretende Mängel zum Kaufzeitpunkt nicht bereits vorhanden waren. Im Gegensatz dazu hat man bei einem Kauf von Privat meist nur bei vorsätzlich verschwiegenen Mängeln Chancen auf Ersatz.

    Doch auch beim Händlerkauf ist Vorsicht geboten: Unseriöse Anbieter versuchen mit diversen Tricks, wie etwa Kommissionsverkauf, die Gewährleistung zu umgehen. Hier sollte man sicherstellen, dass der Händler auch der Eigentümer des Fahrzeuges ist.

    Wenn die Frage klar ist, sollte man sich zunächst informieren. Welche Modelle kommen in Frage? Vor- und Nachteile sowie typische Schwächen stehen in den Gebrauchtwagenreports von ADAC oder einer Prüforganisationen, z.B. der GTÜ. Auch in Internetforen kann man Informationen sammeln, hier muss man allerdings deutlich vor dem dort teilweise vorhandenen Halbwissen warnen. Neben fundierten Informationen werden auch Meinungen als Tatsachen verbreitet, die Unterscheidung ist für einen Laien oft schwierig. Nachbarn, Freunde oder Arbeitskollegen mit dem gleichen Fahrzeug geben sicher gern ihre Erfahrungen weiter. Im Internet geben die Gebrauchtwagenbörsen vorab einen Preisüberblick. Nur wer viele Informationen hat, kann bei der Besichtigung und beim Verkaufsgespräch die richtigen Fragen stellen.

    Ist eine Auswahl getroffen, sollte man genau hinsehen und Fragen stellen. Eine der wichtigsten Fragen beim Autokauf: Ist das Fahrzeug unfallfrei und ist der Kilometerstand echt? Ungenaue Spaltmaße zwischen den Karosserieteilen, unterschiedliche Farbnuancen, Farbe auf Stoßdämpfern, Unterboden oder Dichtungen weisen auf reparierte Vorschäden hin. Abgenutzte Pedalgummis, verschlissene Sitze und ein durchgescheuerter Bodenbelag deuten auf hohe Laufleistung hin.

    Der wohl beste Tipp beim Autokauf: ziehen Sie einen Fachmann zu Rate! Mit einer Lackschichtdickenmessung kann man Vorschäden sofort feststellen, unsachgemäße Reparaturen werden ebenfalls sofort erkannt. In der Praxis beobachten wir immer wieder das gleiche Muster: Der Käufer stellt nach dem Kauf Ungereimtheiten fest und wendet sich dann an den Sachverständigen. Bei einer detaillierten Untersuchung werden dann viele Mängel festgestellt, der Verkäufer stellt sich quer, ein Rechtsanwalt muss eingeschaltet werden. Der Aufwand und Ärger hätte mit einer kostengünstigen Untersuchung im Vorfeld vermieden werden können, weiterer Vorteil: Man überprüft damit die Seriosität des Verkäufers. Wer einer Besichtigung des Fahrzeuges durch einen Sachverständigen nicht zustimmt, hat etwas zu verbergen.

    Wer sich die Überprüfung selber zutraut oder vielleicht einen Werkstattmeister im Freundeskreis hat, sollte eine Checkliste verwenden, wie sie der ADAC anbietet. Damit stellt man sicher, keine wesentlichen Punkte zu übersehen.

  2. Die Mehrzahl der Fahrzeuge auf unseren Straßen ist finanziert. Besonders beliebt ist Leasing, auch weil man am Ende der Laufzeit die Wahl zwischen Kauf zum Rückkaufswert oder Rückgabe hat. Bei der Leasingabnahme kommt oft das böse Erwachen. Ist Leasing eine Alternative, wenn ja für wen und worauf sollte man achten?

    Für Gewerbetreibende liegen die Vorteile des Leasings auf der Hand, sie können die Raten als Betriebsausgaben geltend machen und so die Steuerlast reduzieren, die Liquidität bleibt höher und der Kapitaleinsatz geringer. Bei Privatleuten sieht dies anders aus, die Frage „leasen oder kaufen“ lässt sich nicht so einfach beantworten. Leasing bedeutet mieten über einen längeren Zeitraum. Mit der Leasingrate finanziert der Kunde lediglich den Wertverlust des Fahrzeuges und nicht den Kaufpreis, er erwirbt also kein Eigentum am Fahrzeug.
    Die an die Hersteller angeschlossenen Autobanken machen es durch Vermittlungsprovisionen für den Händler oft attraktiver, einen Kredit- oder Leasingvertrag anzubieten als einen Barkauf, dies auch unter Berücksichtigung der dann evtl. höheren Nachlässe und des momentanen Niedrigzinsumfeldes. Alle Möglichkeiten sollten im Einzelfall durchgerechnet werden, auch eine Kombination kann sinnvoll sein.

    Sicher das größte Konfliktpotenzial hat nach unseren Erfahrungen die Leasingrückgabe: Welche Schäden sind normale Gebrauchsspuren? Was ist normale Abnutzung, wo fängt die Beschädigung an? Der Leasinggeber berechnet dem Leasingnehmer die Minderung an Wert, die das Fahrzeug durch vorhandene Schäden erfährt, nicht jedoch die Kosten für die komplette Reparatur der Schäden.

    Ein Beispiel: Die typische Parkdelle. Nach dem Einkauf stelle ich eine Delle in meiner Tür fest, der Verursacher ist verschwunden. Die Kosten für Instandsetzung und Lackierung erreichen schnell einen Betrag von 400 bis 500 Euro. Am Ende der Leasingzeit sind es dann schon sechs bis acht Dellen, der Streit beginnt: Wie hoch sind die Reparaturkosten? Welche Wertminderung erfährt das Fahrzeug? Hier treten in der Regel am Ende der Leasingzeit nochmals erhebliche Kosten auf, die man im Vorfeld jedoch nicht exakt kalkulieren kann. Man sollte bei der Finanzierungsbetrachtung eine Summe für diesen Punkt einplanen.

  3. Klassische Fahrzeuge und Young Timer werden immer beliebter. Was sind die Besonderheiten bei der Bewertung?

    Bei der Bewertung von Oldtimern sollte man einen Sachverständigen wählen, der nach einem der am Markt etablierten Verfahren arbeitet. Hier kann man exemplarisch die Classic-Data-Bewertung nennen, die von vielen Versicherern auch als Versicherungsgrundlage gefordert wird. Aber auch ADAC, GTÜ und andere Organisationen bieten qualifizierte Oldtimer-Bewertungen an.

    Eines der wichtigsten Kriterien ist die Zustandsnote, diese beschreibt Fahrzeuge von der Note 1, dies entspricht dem Zustand des Neufahrzeuges, bis Note 5, ein nicht fahrbereiter Teileträger oder ein Restaurationsobjekt.

    Weitere wichtige Punkte:

    Ist das Fahrzeug original? Der Trend ist eindeutig: Originale Fahrzeuge werden höher gehandelt als Umbauten, alles sollte möglichst wie bei der Auslieferung sein.

    Wie ist die Qualität der Restaurierung? Sachgerecht durchgeführte Schweißarbeiten, kein übermäßiger Spachtelauftrag, Verwendung von aufgearbeiteten Originalteilen statt billiger Reproduktionsteile: Diese Punkte sind für einen Laien ohne entsprechende Hilfsmittel und Sachkenntnis schwer zu überprüfen.

    Stimmt die Historie des Fahrzeuges? Alle Unterlagen zum Fahrzeug sollten vorhanden sein, der Lebenslauf nachvollziehbar. Hier ergeben sich oft wichtige Rückschlüsse ob es sich um das begehrte Sondermodell handelt oder ob ein Standardmodell umgebaut wurde.

    In letzter Zeit beobachten wir einen klaren Trend zu Patina und Authentizität: Unrestaurierte Fahrzeuge im Originalzustand, die Zustand 4 oder schlechter entsprechen, erzielen deutlich höhere Preise als topp restaurierte Exemplare in Zustand 1. Der Grund ist einfach: Solche Fahrzeuge sind extrem selten und nicht wiederzubeschaffen. Die Kehrseite der Medaille: Viele Verkäufer versuchen Beschädigungen und Mängel als Patina zu verkaufen.

  4. Liebhaberei oder Investment: Klassische Fahrzeuge werden häufig als Geldanlage gekauft. Macht das Sinn, und wenn ja, was muss der Käufer wissen und welche Voraussetzungen muss ein Fahrzeug mitbringen, damit es im Wert signifikant steigt?

    Es kann Sinn machen, muss es aber nicht! Bei den niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt flüchten viele Anleger in Sachwerte, dazu gehören auch Oldtimer. Hier besteht natürlich die Gefahr einer Blasenbildung, wenn die Fahrzeuge als Spekulationsobjekt gesehen werden. Wir empfehlen: Wer einen Oldtimer erwirbt, sollte sich auch dafür begeistern. Der größte Gewinn steckt nämlich in dem Spaß, den ich mit diesem Fahrzeug habe.

    Wenn man die Kosten für den Erhalt und die Unterbringung des Oldtimers ehrlich rechnet, sieht das Bild oft schon anders aus. Ein Fahrzeug kann ich nicht wie eine Aktie irgendwo in einem virtuellen Depot aufbewahren: Ich benötige eine Unterstellmöglichkeit, regelmäßige Wartung, Versicherung gegen Diebstahl, Brand oder Beschädigung, das Fahrzeug muss bewegt werden, Standschäden müssen vermieden werden.

    Zudem stellt sich die Frage nach der Auswahl des Modells. Welche Fahrzeuge haben in Zukunft die höchste Wertsteigerung? Eine Frage, mit der sich viele Fachleute am Markt beschäftigen. Ein Rückblick zeigt, dass viele Prognosen falsch waren, einen Tipp kann man aber sicher geben: die seltenen Typen einer Baureihe haben höhere Wertzuwachserwartungen als die in größerer Anzahl gebauten Standardmodelle.

  5. Versicherungsbetrug wird von manchen Zeitgenossen als Sport betrachtet, von provozierten Unfällen ganz zu schweigen. Wenn Sie zurückschauen, gab es einen besonders dreisten Fall?

    Da kommt mir sofort folgender Fall in den Sinn: Ein Motorradfahrer stürzt und meldet den Schaden seiner Vollkaskoversicherung, diese zahlt auch. Wenige Wochen später erhalte ich im Rahmen einer Aktenprüfung von einem anderen Versicherer den gleichen Fall, diesmal als Haftpflichtschaden: angeblich hat ein Mofafahrer den Motorradfahrer zu Fall gebracht. Es handelte sich um denselben Schaden, der nochmals abgerechnet werden sollte.
    Weitere Recherchen ergaben dann: Zwischenzeitlich hatte der Fahrzeughalter denselben Schaden bei einer dritten Versicherung angemeldet. Diesmal soll ihn nachts an einer roten Ampel ein PKW mit roter Nummer umgefahren haben. Die angeforderten Bilder zeigten wieder denselben Schaden, und dieser war auch bereits reguliert.

    Fazit: Ein Schaden sollte 3-fach abgerechnet werden, 2-mal war dies bereits gelungen!
    Im Bereich der Privathaftpflichtschäden scheint auch wenig Unrechtsbewusstsein vorzuliegen. Die Schadenschilderungen sind derart phantasievoll und umfangreich, dass es den hier gegebenen Rahmen sprengen würde.